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Briefe an Dich

 

Meine liebe, große Maus,

 

nun sind schon fast zwei Jahre vergangen. Fast zwei Jahre, die Du nicht mehr an meiner Seite bist. Ich habe aufgehört, die Tage zu zählen, denn ich fühle ohnehin schon, dass sich dieser Tag immer weiter von mir entfernt, von meinem alten Ich.

Ich werde nie vergessen, wie schlimm dieser Tag war, an dem Du der Welt den Rücken gekehrt hast. Ich kann Deine Sorgen, die Du hattest, nachvollziehen und möchte Dir Deinen Frieden lassen. Du hast diese Entscheidung für Dich getroffen, hast Dich an niemanden mehr gewandt. Verzweiflung gemischt mit Egoismus? Hat es Dich Überwindung gekostet oder war es ein befreiendes Gefühl für Dich, diesen Weg zu gehen?

Hier gibt es Menschen, die Dich schrecklich vermissen. Ich vermisse Dich. Ich habe mich mit dem Schmerz angefreundet. Er ist für mich, wie eine chronische Krankheit, die mich übermannt, wann sie will. Andere Menschen können es nicht verstehen. Ich sehe immerzu ihr Mitleid in ihren Augen und ihre Hilflosigkeit. Dabei reicht doch einfach nur, mich in den Arm zu nehmen, mich anzulächeln, mir den Rücken zu reiben und zu sagen"...komm, Du schaffst das, Du bist stark...und wenn Du das mal nicht sein kannst, dann bin ich bei Dir..."

Ich weiß, genau das würdest Du auch zu mir sagen, aber was Du mir da auf mein Herzchen gepackt hast, ist unsagbar schwer und ebenso schwer zu tragen.

 

Ich erinner mich an den Tag Deiner Geburt. Es war ganz früh an einem Samstagmorgen. Draußen schien die Sonne und der Himmel war strahlend blau.

Du warst schon zwei Wochen über dem errechnten Geburtstermin und ich lag im Kreißsaal auf einer Liege, einen Stretchgürtel um meinem großen Bauch und an einem TCG angeschlossen. Eine ganze Weile lang. Eine Hebamme kam immer wieder mal vorbei und schaute auf den langen Zettel,der aus dem Gerät kam. Dann ging sie irgendwann wieder und holte die Chef-Gynäkologin hinzu. Sie standen etwas weiter von mir weg und sprachen leise miteinander, dann ging die Gynäkologin wieder und die Hebamme kam auf mich zu und nahm meine Hände.

" Frau Lotte (so hieß ich damals)...wir müssen einen Kaiserschnitt machen, es muß jetzt alles ganz schnell gehen..."

 

Es kam ein Anäthesist und bereitete mich auf die Vollnarkose vor. Damals war das so. Die Hebamme versuchte, Deinen Vater telefonisch zu erreichen, bekam ihn aber nicht ans Telefon. Ich bekam große Angst. Niemand sagte mir genau, was los war. Ich hatte solche Angst um Dich.

Ich wurde in den OP geschoben. Über der Tür hing eine Uhr. Es war genau 10:15Uhr.

Ärzte kamen in den OP und machten ihre Späßchen. Für sie war es Routine. Für mich war es beängstigend. Ich bekam meine Narkose und eine Sauerstoffmaske aufs Gesicht. Um 10:29Uhr erblicktest Du das Licht der Welt.

 

Ich hörte von ganz weit weg ein leises Wimmern. Eine Hebamme tätschelte mir durchs Gesicht und versuchte, mich zu wecken. Langsam kam ich zu mir und sah links neben meinem Bett Deinen Vater stehen, mit einem Kissen im Arm und Du lagst darin. So winzig und klein. 3080g hast Du gewogen und hattest ganz feines dunkelblondes Haar auf dem Kopf. Die Finger so winzig. Die Nase und die Ohren so klein und so zart und Deine Haut fühlte sich an, wie ein Pfirsich. Du hast vom ersten Tage an so gut gerochen.

 

Erst später teilte man mir mit,dass ein Kaiserschnitt notwendig war, weil die Nabelschnur Dich nicht mehr mit ausreichend Sauerstoff versorgt hatte und deshalb Dein Herz des öfteren aussetzte. Bei einer normalen Entbindung hätte also niemand dafür garantieren können, ob Du gesund zur Welt gekommen wärst.

Aber alles ging gut und ich hatte Dich, einen kleinen, gesunden Jungen, der gerne viel schlief.

 

Du kamst mit einem Jahr in den Kindergarten, denn wir hatten Glück in einer Ganztagsgruppe einen Platz zu bekommen, da ich als Alleinerziehende auf der Warteliste bevorzugt wurde. Deine Uroma ging zu dem Zeitpunkt grad in Rente, so hat sie sich viel um Dich kümmern können, denn ich war zu der Zeit auch noch in Ausbildung und hatte kaum Zeit. Ich hatte Dich leider nur jedes Wochenende bei mir und sehnte den Tag herbei, an dem ich endlich einen guten Job und eine größere Wohnung bekäme, denn dann konnte ich Dich endlich zu mir holen, Du hattest Dein eigenes Kinderzimmer.

 

Ich mußte viel arbeiten für wenig Geld. Nach der Grundschule gingst Du in einen Kinderhort am Nachmittag. Es war wenig Zeit für schöne gemeinsame Zeiten, aber ich war immer stolz auf Dich, vom ersten Tage an. Du konntest schon in der Grundschule so Vieles, was andere Kinder in Deinem Alter nicht konnten. Du warst sehr selbstständig.

 

In der Grundschule hattest Du Frau T., meine alte Musiklehrerin, die ich schon damals nicht leiden konnte, als ich auf der Grundschule war. Du sagtest damals mal zu mir" Frau T.heißt T.,weil sie kleine Kinder tötet.."das fand ich schon heftig,aber irgendwo hattest Du schon recht. Sie war sehr herrisch und angsteinflößend. Dennoch hatten die Kinder ihrer Klasse auch zu meiner Zeit schon die besten Notendurchschnitte, um aufs Gymnasium zu kommen. Ich nicht. Ich kam nur auf die Hauptschule.

 

Du kamst aufs Gymnasium. Ich war mächtig stolz auf Dich. Du warst so ehrgeizig, zielstrebig und wolltest Lehrer werden und später Polizist. Bei dem Berufswunsch blieb es dann auch. Du machtest ein Praktikum in Bad Salzuflen als Polizist und kamst jeden Tag total stolz und...ja...so erwachsen nach Hause. Ich schaute im Internet nach der Webseite der Polizeischule in Bad Münder und Du warst Feuer und Flamme. Wir sprachen über die Informationen, die Du hattest, bezüglich der Anforderungen an einen jungen Bewerber und was er bei einer Eignungsprüfung alles können und wissen muß und Du hattest viele Zweifel an Dir selbst. Aber Du wolltest Dein Abi machen und trotz, dass Dich Mitschüler mobbten, wolltest Du es durchziehen, wolltest Deinen Abschluß auf dieser Schule schaffen, um dann mit uns nach Niedersachsen zu ziehen und Deine Ziele zu erreichen.

 

Dann erinnere ich mich an die Woche, ein paar Tage, bevor Du Dir Dein Leben nahmst. Ich merkte, dass Dich etwas bedrückte. Du hattest Liebeskummer und auch einige vorangegangene Probleme, aber Du wolltest nicht mit mir reden, wie sonst. Wir redeten über alles. Erinnerst Du Dich? Wenn ich in Dein Zimmer kam und Dir Deine Wäsche bringen oder Dich nur mal kurz etwas fragen wollte, entwickelten sich daraus nicht selten stundenlange Gespräche über Gott und die Welt. Du warst sehr einfühlsam, sensibel, machtest Dir mehr Sorgen und Gedanken um die Probleme anderer, als um Dich selbst. Dich quälte dann auch oft, dass Du gegen so manche Ungerechtigkeiten dieser Welt nichts ausrichten konntest. Dabei wolltest Du so viel geben, aber es kam nicht an.

 

Am 6.Mai 2010 hast Du die Wohnung verlassen, hast mich an dem Tag nicht gegrüßt, mich nicht angesehen, bist mir aus dem Weg gegangen, hast Dich nicht mehr verabschiedet.

Erst später, als die Kripo zu uns kam, habe ich erfahren, wie ernst es um Dich war. Ich dachte immerzu, ich habe einen Albtraum und ich werde schon irgendwann wieder erwachen, aber so war es nicht. Du kamst nicht wieder, riefst nicht an.

Am folgenden Freitag kam morgens mit der Post Dein Abschiedsbrief. Alle waren da. Konnie und Dirk, Uschi und Hartmut, Christian und Dein kleiner Bruder, für den ich in diesen Momenten der Ungewissheit so gar keinen Kopf hatte.

Auch da habe ich noch immer nicht kapiert, was Sache ist. Ich las ihn, aber verstand nicht, was all diese Worte bedeuten sollten. Mein Kopf war voll Angst und Sorge, wo Du nur sein könntest...

 

Dann am Nachmittag klingelte es an der Tür und Herr Koch, ein Kripobeamter,kam mit einem Kollegen zu uns und bat uns, wir sollten uns setzen. Er hätte eine gute und eine schlechte Nachricht. Eine Rettungshundestaffel hätte Dich im nahegelegenen Wald gefunden, leider nicht mehr lebend.

 

Konnie saß zu meiner Rechten, Uschi zu meiner Linken, Hartmut kümmerte sich derzeit um Deinen kleinen Bruder und Dirk und Christian steckten im Feierabendverkehr aus Richtung Herford fest, denn sie hatten noch in Bünde nach Dir suchen wollen.

Trotz dieser schlimmen Nachricht, fiel mir eine unendlich schwere Last vom Herzen. Ich hatte endlich Gewissheit. Man hatte Dich gefunden.

Ich habe die Hoffnung niemals aufgegeben, dass Du lebend gefunden wirst, aber mein Gefühl sagte mir ganz deutlich, dass etwas Schlimmes passiert war und alle Versuche, mich zu beruhigen, waren vergebens.

 

Ich spürte solch eine Erleichterung, denn die Anspannung der Ungewissheit war noch viel, viel schlimmer, als irgendetwas sonst, was ich bisher in meinem Leben erfahren habe. Nicht zu wissen, wo das eigene Kind ist....die Sorge, wo Du bist, wo Du steckst, wie es Dir geht, in welchem Zustand bist Du, hast Du es Dir vielleicht nicht zugetraut und sitzt draußen in der Kälte,im Regen, im Wald? Ist das, was Du Dir antun wolltest vielleicht schief gegangen und liegst verletzt irgendwo und kannst Dich nicht bewegen, nicht bemerkbar machen? Wo bist Du??? Ich wollte Dich nur bei mir haben, egal, in welchem Zustand, hatte solche Angst um Dich und dann.....?

 

Zwei Tage später kam ein Anruf vom Bestatter. Die Staatsanwaltschaft hätte Dich freigegeben. Fremdeinwirkung ausgeschlossen. Wir dürften jetzt zu Dir.

Christian fragte mich, ob ich das wirklich wolle,aber ich mußte einfach zu Dir. Du hattest Dich nicht mehr von mir verabschiedet. Also wollt ich es tun.

Als Du geboren wurdest, hatte ich Dich in meinen Armen und als Du gegangen warst, wollte ich mich nun auch von Dir verabschieden.

Ich wollte Dich so gern noch einmal sehen, auch wenn mein Begleiter eine Riesenportion Angst war. Angst vor Deinem Anblick, Angst aufzuwachen und festzustellen, dass alles so ist, wie es ist....

dann war es soweit und der Bestatter stand in der Kapelle mit uns vor einer schönen,hellen Holztür. Ich glaube, es war Ahorn oder Buche. Er redete ganz ruhig mit uns. Sagte uns, Du wärst noch nicht fertig gemacht worden und sähst noch aus, wie sie Dich gefunden hätten. Mittlerweile war mir das so ziemlich egal. Ich wußte nun, hinter dieser Tür in diesem Raum, liegt mein totes Kind, mein großer, fast erwachsener Sohn...tot. Was kann denn noch schlimmer sein?

 

Der Bestatter öffnete die Tür und ich sah Dich. Du lagst aufgebahrt auf einer Liege. Nur mit einem weißen Vlies abgedeckt. Ich klammerte mich an Christians Jacke fest und schrie und weinte"...mein Baby...mein Baby..."

Der Bestatter ließ uns allein und ich traute mich kaum, Dich näher anzusehen. Ich fühlte solch eine tiefe Ohnmacht in mir, wie ich sie noch niemals in meinem Leben gespürt hatte. Dein Körper lag da, so blaß und fahl, wie eine leere Hülle. Alles Leben fort aus Dir. Dein Lachen, Dein Atmen, Deine Stimme. Alles fort aus Dir. Deine Lebendigkeit, Deine Wärme...alles fort aus Dir.

Aber wie wir da so standen und Du so dort lagst, wurde mir auch klar, dass all Dein Leiden jetzt ein Ende hatte und das beruhigte mich auch irgendwie.

Ich war Dir nicht böse. Bin ich auch jetzt nicht. Warum sollte ich es sein? Was hätte es für einen Nutzen?

Ich war in dem Moment stocksauer auf die Welt da draußen und was sie mit Dir angestellt hat, was sie angerichtet hat, mit Deiner Seele. So vieles hat Dich krank gemacht. Du konntest es nicht mehr ertragen. Nun hast Du Dich erlöst und uns hier zurückgelassen.

 

Deine Seele ist frei.

 

Die Zeit zog schneller ins Land, als ich dachte. Jeder Tag sah seit Deinem Tod gleich aus. Morgens wurde es hell und abends wieder dunkel. Ein Tag glich dem anderen. Ich fühlte mich, wie versteinert.

 

 

Da sind wir gemeinsam all die Jahre durch dick und dünn gegangen und dann gehst Du plötzlich fort, für immer.

 

Als wir Deinen ersten Jahrestag an Deinem Grab verbrachten, kamen auch Deine besten Freunde und als ich so in die Runde sah, habe ich schon soetwas, wie Wut empfunden!

Da stehen junge Menschen an Deinem Grab, die Dich lieb hatten, so wie Du warst. Sie weinen um Dich, denken jeden Tag an Dich. Stellen sich Fragen, die ihnen niemand beantworten kann. Vermissen Dich ganz schlimm, genau wie ich.

Also fasse ich kurz zusammen: Dein wertvolles Leben hast Du eingetauscht gegen so viel Traurigkeit, die Du in anderen Menschen hinterlassen hast, für eine ganz lange und ungewisse Zeit.

 

Sie haben noch ein ganzes Leben vor sich. Ein Leben, welches Du nun nicht mehr vor Dir hast, aber Dein Tod wird sie begleiten. In der Schule, in der Ausbildung, wenn sie sich mit Freunden treffen, wenn sie fröhlich sein wollen, wenn sie traurig sind und Du wärst im Normalfall für sie da gewesen, wenn sie später eine Familie gründen u.s.w.

Wie ein roter Faden zieht sich Dein Tod durch unser aller Leben und jeder versucht auf seine eigene Art und Weise wieder klarzukommen.

 

Manchen gelingt es.Das sind die, die Dich weniger gut kannten und dann gibt es noch Deine Familie. Konnie und Dirk, mich und viele andere, denen Du in Deinem Leben begegnet bist, Deine Spuren hinterlassen hast. Die gesehen haben, wie Du herangewachsen bist, Deine Milchzähne bekommen und verloren hast, die Du zum Lachen brachtest oder auch mal wütend gemacht hast. Du hast Deine Spuren hinterlassen und bei jedem Menschen, dem Du in Deinem Leben begegnet bist, etwas verändert.

 

Da fällt mir einer meiner Lieblingsfilme ein. "Ist das Leben nicht schön?" Ein schöner alter Schinken. Vielleicht hättest Du ihn Dir noch einmal ansehen sollen, bevor Du Deinen Entschluß gefasst hast, zu gehen.

George Bailey ist ein angesehener Mann, muß auf einige, seiner Träume verzichten, aber heiratet die Liebe seines Lebens, gründet eine Familie und dann bricht plötzlich alles um ihn herum zusammen. Er geht in eine Kneipe und läßt sich volllaufen, fährt stockbesoffen mit seinem Auto vor einen Baum und will sich danach von einer Brücke stürtzen. Er wird jedoch gerettet von dem Engel Clarence, der sich noch seine Flügel verdienen muß, indem er etwas Gutes tut. George wünscht sich, er wäre niemals geboren und Clarence klärt den Wunsch mit Gott ab und erfüllt ihm seinen Wunsch. Er läuft durch seine Stadt und muß feststellen, dass alles total verändert ist. Die Menschen kennen ihn gar nicht, denn es hat ihn ja nie gegeben, die Kneipe, in der er eben noch saß und nett mit dem Wirt befreundet war, ist eine heruntergekommene Kneipe und der Wirt griesgrähmig und seine Frau kennt ihn nicht,

ist eine alte Jungfer geworden und hat nie geheiratet....denn es hat ihn ja nie gegeben.

Zum Ende des Films weint er und will nur noch nach Hause, zu seiner Familie, in seine alte Stadt, zu den Menschen, die ihn lieben und Clarence bekam seine Flügel.

 

Wie sehr hätte ich mir auch solch ein Ende für Dich gewünscht.

 

Nun habe ich Dein Leben in meinem Kopf, in einem Teil unseres Kleiderschranks, in ein paar alten Aktenordnern, in einem großen, dicken, von mir angefertigten Foto-Album, auf einer Webseite, auf einer Kondolenzseite und Deinen Fingerabdruck und kleine Fotos in einem Madaillon in der Nähe meines Herzens.

Jeden Abend steh ich vor Deinem Bild,lege meine Hand auf den Schneekugelbilderrahmen mit einem Kinderfoto von Dir, wo Du so alt warst, wie Chrissi jetzt, mach Deine kleine Kerze aus und wünsch Dir eine Gute Nacht. Dann habe ich das Gefühl, Du stehst neben mir und nimmst meine rechte Hand, um mir zu zeigen, ich bin nicht allein.

 

 

Ein beruhigendes Gefühl,aber auch ein trauriges.

So würd ich mich doch viel lieber wieder über Deine laute Musik beschweren, abends Dein lautes Lachen hören, wenn Du TV total guckst oder mich nachts noch mit Dir in der Küche treffen, wenn wir beide Hunger haben.

 

Manchmal gibt es da aber auch Tage, an denen blitzen kleine Erinnerungen hell auf. Manchmal machen sie mich traurig. Manchmal zaubern sie mir ein Lächeln ins Gesicht.

Ich sehe Dich so herzlich lachend im Sessel sitzen(da warst Du 15J.) denn wir hatten Dir grad von unserem Spaß erzählt, den wir uns bei Ebay gemacht haben. Christian hatte bei Ebay ein Foto mit "Nichts"in der Hand, zur Auktion freigegeben und wollte so seine Luftgitarre versteigern. Er hatte schon etliches an Beobachtern und unzählige Gebote. Als wir Dir davon erzählten, hast Du Dich fast nass gemacht, vor lachen.

 

Ich denk dann aber auch an solche Momente, als wir noch in Bünde wohnten. Du warst noch kleiner und wir spielten zusammen in Deinem Zimmer. Ich fragte Dich, ob Du wüßtest, wie lieb ich Dich habe? Dann sahst Du mich an und ich breitete meine Arme aus und sagte soooooo lieb! Und dann breitetest Du auch Deine Arme aus und sagtest, Du hättest mich auch soooooo lieb, so groß, wie die ganze Welt ist und so unendlich, wie das Universum ist! Und jeden Abend sage ich Dir das, wenn ich Dir Gute Nacht sage und immer sehe ich Dich, wie Du Deine Arme ausbreitest.

 

Und mir würden noch sooo viele Momente einfallen....Schöne und auch Traurige und das ist leider alles, was mir bleibt.

 

Bald jährt sich Dein Jahrestag zum zweiten Mal und im Juli würdest Du schon Deinen 19. Geburtstag feiern. Das werden wieder schwere Tage für mich und ich weiß,ich werde unendlich erleichtert sein, wenn diese Tage wieder vorüber sind und alles, was mich an diesen Tagen so brutal berührt, wieder aus meinem Kopf raus geht. Dann wirds mir auch um mein Herzchen wieder leichter.

 

Ich bin mir sicher, Dir geht es jetzt gut. Das spüre ich, aber ebenso vermisse ich Dich ganz furchtbar. Eine Mischung aus Sehnsucht und Liebeskummer und es hört nie auf, wird nur manchmal erträglicher und dann wieder schlimmer und wieder erträglicher....

aber ich arbeite an allem und ich weiß, es wird sich lohnen, denn eigentlich liebe ich das Leben und ich bin noch so neugierig, was es noch alles für mich bereit hält.

 

Und ja, ich werde mich gut um Christopher kümmern und ihm genauso eine liebevolle und gutherzige Mutter sein, wie ich es bei Dir war. Hab keine Sorge, das kriege ich hin. Nur, dass er sorgenfrei aufwächst, das kann ich Dir nicht versprechen. Sorgen lassen sich im Leben leider nicht immer vermeiden, aber man kann auch an ihnen wachsen, aus ihnen lernen.

Da fällt mir grad ein Filmzitat von Dori aus dem Film "Nemo"ein. Als er ihr erzählt, dass er immer auf Nemo aufpassen wolle, dass ihm nie wieder etwas passiert. Da sagt die Dori"...aber wenn Du immer aufpasst, dass ihm nie etwas passiert....na dann passiert ihm doch niiiie was!"

 

Mein Leben war auch nicht grad mit viel Glück gepflastert. So dachte ich jedenfalls immer, denn wir hatten es wirklich nicht leicht, hatten nie viel Geld, aber immer ein warmes Heim und uns beiden waren immer zwischenmenschliche Sachen das Wichtigste. Ich war sehr stolz auf Dich und bin es immer noch, denn ich habe Dir viele, wichtige Dinge mit auf den Weg gegeben, die in meinen Augen sehr wichtig sind und das ich in dem Punkt alles richtig gemacht habe, haben mir Deine Ansichten gezeigt.

 

Du warst einfühlsam, konntest gut zuhören, hattest gute Menschenkenntnis und wolltest so gern die Welt retten.

 

 

Heute weiß ich, dass ich blind war. Zu sehr war ich damit beschäftigt, womit so viele Menschen auf dieser Welt beschäftigt sind. Das Glück zu suchen. Daraufhin zu arbeiten, danach zu streben, das alles um einen herum gut läuft und dabei völlig das Glück aus den Augen zu verlieren, welches ich doch immer an meiner Seite hatte. Dich.

 

Jetzt bleibe ich hier zurück mit Christian und Christopher. Meine kleine Familie...und immer einem leeren Platz am Tisch und ganz vielen, schönen und nicht so schönen Erinnerungen an Dich und es macht mich so traurig, weil ich mich jetzt nur noch allein daran erinnern kann und nicht mehr mit Dir zusammen.

 

Dennoch...ich hoffe, es geht Dir gut, dort, wo Du bist und es ist alles, wie Du es Dir vorgestellt hast oder vielleicht noch viel schöner? Ich wünsche es Dir und liebe Dich sehr....sooo groß, wie die Welt ist und soooo unendlich, wie das Universum ist.

 

In Liebe

Deine Mama

 

 

 

April 2012

 

 

 

 

 

Die Zeit ohne Dich

Meine liebe große Maus,

am 6.Mai bist Du mir verloren gegangen...für immer.

Am 14.Mai mußte ich Dich zu Grabe tragen. Hast Du nur die geringste Ahnung, wie schlimm das für mich war?

Ich kann mir denken, dass Du Dir darüber in dem Moment, als Du Dein Leben beendet hast, bestimmt nicht im Klaren warst und hast für Dich Dein Heil gesucht.

Ich spüre, Du hast es gefunden, aber in meinem Herzen hast Du eine große Wunde hinterlassen.

Viele Menschen, die solch ein Schicksal nicht tragen müssen, meinen, das Schlimmste wäre der Abschied von Dir gewesen. Dich zu sehen in der Kapelle. Leise Musik und Kerzen um Dich herum und ich höre Dein Atmen nicht mehr. Dein Körper liegt vor mir, wie eine leere Hülle

oder aber hinter Deinem Sarg herzuschreiten, mit ansehen zu müssen, wie Dein Sarg in ein Erdloch hinabgelassen wird und ein Schäufelchen Erde auf Deinen Sargdeckel zu schmeißen.....

Nein, das ist noch nicht das Schlimmste. Das Schlimmste ist die Zeit ohne Dich, die nach der Beerdigung begann.

Ich träumte von Dir, Du hättest Dich wortlos,aber liebevoll von mir verabschiedet. Du umarmtest mich und ich wachte auf, mit Tränen und einem Lächeln im Gesicht.

Ich saß jeden Tag, stundenlang in Deinem Zimmer, schaute Deine Schulhefte an, sah mir Deine Schachteln an, in denen Du alles so sorgfältig bewahrtest, Dein Seepferdchenabzeichen, Auszeichnungen der Bundesjugendspiele, Steine, die Du mit Konnie zusammen am Strand gesammelt hattest, Kettenanhänger, die ich Dir einst schenkte, eine kleine Dose mit Deinen Milzähnen,Deine Bilder in den Fotoalben, die Musik von Deinem PC und Deine Spielesammlungen.

Ich hielt Deine Schuhe in meinen Händen, Deine Tshirts, die Du nach dem Tragen auf den Fußboden geschmissen hattest...ich vergrub mein Gesicht darin und wollte jeden Geruch von Dir einfangen. Ich sprühte Dein Deo in die Luft und schloß meine Augen, nur um das Gefühl zu haben, Du seist grad an mir vorbeigegangen.

Ich saß oder lag jeden Tag auf Deinem Bett und weinte, schrie und schluchzte. Du bist weg für immer.

 

Da wir bald umzogen, mußte ich Deine Sachen sortieren. Deine Kleidung spendete ich an die Gemeinde, die sie an behinderte Kinder weitergab. Die Schulbücher brachte Christian in einem großen Karton zur Schule zurück und ich sortierte Deine Sachen, die ich unbedingt behalten wollte, in fünf Kisten. Dein Leben in fünf Kisten.

Heute nehmen Deine persönlichen Sachen einen Teil unseres Kleiderschranks ein. Manchmal nehme ich mir ein paar Dinge heraus, vergrabe mein Gesicht darin und weine oder sehe mir einfach Deine Haus-oder Sportschuhe an, überlege, wie Du jetzt wohl aussehen würdest, wenn Du noch leben würdest. Welch einen Kleiderstil Du jetzt hättest? Welch eine Frisur?Wie schnell Du jetzt beim Sprinten wärst?Wie Deine Stimme und Dein Lachen jetzt wohl klingen würden, wie groß Du jetzt wärst und welche Lieblingssendungen Du hättest?

Ich hätte mir so für Dich gewünscht, dass Du ein glücklicher Mensch wirst. Ich weiß, Du warst nie so wirklich zufrieden mit Dir und ich habe das nie verstanden. Für mich warst und bist Du immer toll...mit all Deinen Ecken und Kanten, all Deinen Macken. Ich war und bin immer stolz auf Dich, egal, ob Du beim Sprinten drei Sekunden langsamer warst, als ein anderer oder eine schlechte Note mit nach Hause brachtest. Das warst Du! Das war Dennis! Mein Kind, welches ich immer liebte, egal, ob mit guten oder schlechten Leistungen...Du warst ein Teil von mir. Jemand, der mir wichtiger war, als irgendetwas sonst auf der Welt. Du warst mein Freund, mein Ratgeber, mein Ratsuchender, mein kleiner(und irgendwann auch großer) Gefährte, gingst den Weg, den ich ging, brachtest mich zum Lachen, wenn ich traurig war, ich motivierte Dich, wenn Du verzweifelt warst. Wir hatten wirklich eine schöne Zeit zusammen, wenn sie auch nicht immer einfach war.

 

An so manchen Tagen wachte ich auf und wollte einfach nicht mehr leben.

Ich fragte mich"Wofür denn das alles noch?!" Ich hätte am liebsten gehabt, dass mein Herz stehenbleibt und ich einfach diesen Schmerz nicht mehr spüren muß.

Die Leute sagten, ich solle an meine Familie denken, ich solle Dennis"loslassen", ich solle mir sagen, dass es Dir jetzt gut ginge, ich solle nach vorne schauen, ich solle mein Leben nicht "stillstehen lassen", ich solle nicht.....keine Ahnung.

Sämtlichen betroffenen Angehörigen um Suizid werde ich vermutlich einen Gefallen tun, wenn ich nun schreibe"Leute, wir wissen das alles!" Wenn ihr verunsichert seid,schweigt lieber, bevor Ihr uns mit Sprüchen verletzt, die wir in dem Moment nicht gebrauchen können. Was Ihr sonst noch tun könnt, wenn Ihr nicht wißt, was Ihr sagen sollt? Backt uns einen Kuchen, kocht uns einen Tee, packt uns in eine warme Decke, nehmt uns einfach in den Arm! Es muß niemand reden, aber es kann geredet werden.

Niemand versteht diesen Schmerz, der ihn nicht selbst erlebt hat. Wenn Ihr nicht wißt, wie das ist, dann fragt uns einfach. Wir brechen nicht gleich in Tränen aus, nicht mehr.

Wir hatten leider nicht die Möglichkeit, die Ihr hattet. Ihr seid in Eure heile Welt zurückgekehrt, die für uns nicht mehr existiert. Wir gehen, seitdem wir unser Kind verloren haben, jeden Tag mit dem Verlust um. Notgedrungen. Wir beschäftigen uns mit den Schmerzen unserer Kinder(falls bekannt)und die zu ihrem Tod führten, stellen uns fragen, die nie mehr beantwortet werden, machen uns Vorwürfe, die kommen und gehen, wann sie wollen, setzen uns Erinnerungen aus, die uns zum Weinen bringen oder uns auch ein Lächeln ins Gesicht zaubern...wir wurden mit dem konfrontiert, von dem wir niemals gedacht hätten, dass wir damit konfrontiert werden. Suizid.

Tagtäglich arbeiten wir daran, uns wieder ein neues Ich zu schaffen, denn die Alten sind wir leider nicht mehr. Zu tief war der Schmerz,der uns getroffen hat. Schmerz und Traurigkeit sind zu unfreiwilligen Freunden geworden, denen man die Tür öffnet, wenn sie anklopfen.Sie bleiben eine Weile und gehen dann wieder.

Es hat auch eine Weile gedauert, bis ich meiner Familie verständlich machen konnte, dass Weinen nicht schlimm ist, ganz im Gegenteil. Für mich ist es ein Ventil, meine Traurigkeit herauszuspülen und recht schnell geht es mir dann auch wieder besser, fühle mich leichter ums Herz.

 

Ich habe also nun in meinem Leben feste Rituale, die ich jeden Tag vollziehe. Ich zünde Dir eine kleine Kerze an und stelle sie Dir vor Deine Bilder. Dort liegen auch kleine Steinmäuse, die Dein Bruder und ich mal bei einem Kindergartenfest gebastelt haben, eine Kastanie und etwas Gebasteltes, von dem Christopher gewüscht hat, dass ich es zu Deiner kleinen Kerze lege (eine grüne Feder mit einer bemalten Erdnuß).

Ich denke an Dich jeden Tag und was Du jetzt wohl so machst, dort, wo Du jetzt bist?

 

Manchmal ist es schlimm und kaum auszuhalten, dass das Leben einfach so weitergeht und dann wieder bin ich auch froh, dass es weitergeht.

Ich habe mich verändert, verändere mich noch immer, keine Ahnung, wann ich damit fertig bin. Ich hab mich darauf eingerichtet, dass es eine ganze Weile dauern wird, denn ich habe mein Ich verloren.

 

Ich arbeite jeden Tag daran, mein Leben ohne Dich wieder neu zu gestalten und es ist wahrlich nicht einfach.

Du hast Dein Leben einfach ausgelöscht und wir müssen alle damit leben. Das macht mich-trotz meiner Liebe zu Dir- auch oft nicht nur traurig, sondern auch wütend. Ich habe Dir Dein Leben geschenkt und Du wolltest es nicht mehr. In unseren Augen hätte es für jedes Problem eine Lösung gegeben. Für Dich gab es nur diese eine.

Man könnte meinen,Du hast es Dir zu einfach gemacht, obwohl Deine Entscheidung Dir mit Sicherheit auch nicht leicht gefallen ist.

Aber Du hast nicht nur mich mit so viel Schmerz zurückgelassen, viele andere Menschen auch. Manche finden sich nach Deinem Tod mittlerweile wieder einigermaßen in ihrem Leben zurecht und manch andere, denen Du unendlich viel bedeutet hast, schaffen es nur sehr schwer, sich wieder zurecht zu finden. Als da wären zum Beispiel Freunde, die Dir sehr nahe standen und davon träumten, Du würdest sie ihr Leben lang begleiten, Höhen und Tiefen mit ihnen teilen...DVD-Abende, Abiparty's, miteinander lachen oder einfach nur miteinader reden. Alles fehlt. Du fehlst. Und es fällt mir sehr schwer, mit ansehen zu müssen, wie sich Dein Tod wie ein roter Faden durch ihr Leben zieht, denn bei ihnen, sowie auch bei mir, ist die Unbeschwertheit einfach fort. Dennoch bin ich sehr froh darüber, dass uns die Liebe zu Dir und die Erinnerungenan Dich, sowie das Vermissen, doch verbindet.

 

Deinen 18. Geburtstag haben wir an Deinem Grab verbracht und wie wir alle so da standen, war ich nicht nur traurig, sondern ich war auch richtig stinkig auf Dich! Da schaute ich in die Runde und sah die traurigen Gesichter und ich dachte daran, dass das alles nicht so wäre, wenn Du nicht gegangen wärst. So gerne hätten wir Dich alle ganz groß gefeiert...Dich, lebendig, in unseren Armen gehalten, fest gedrückt und Dein verschmitztes Grinsen gesehen, aber nein....nun standen wir da, jeder zündete eine Kerze für Dich an und stellte sie Dir auf Dein Grab. So hatte sich niemand Deinen 18.Geburtstag vorgestellt.

Zuhause habe ich einen Kuchen für Dich gebacken. Auch an Deinem letzten Geburtstag habe ich einen Kuchen für Dich gebacken, aber wir haben nur ein kleines Stück davon gegessen, dann verging uns der Appetit. Wenn das Geburtstagskind fehlt, ist es eben kein richtiger Geburtstag mehr.

Dein kleiner Bruder hat einen Tag nach Dir Geburtstag. Es fällt mir immer schwer, an seinem Geburtstag richtig fröhlich zu sein, denn ständig begleitet mich der Gedanke, wie alt Du geworden wärst und wie alt Dein kleiner Bruder geworden ist. Dein Vermissen schmerzt an solch besonderen Tagen immer sehr.

 

Auch Weihnachten und Sylvester fällt einfach nur schwer. Immer wieder muß ich daran denken, wie Du darauf bestanden hast, Weihnachten mit Konnie und Dirk zu verbringen und Sylvester wolltest Du unbedingt mit uns feiern, obwohl Du sonst nie darauf wert legtest. Konnie und ich stellen uns noch heut die Frage, ob Du es vielleicht schon im Gefühl hattest, dass es Dein letztes Jahr Weihnachten und Sylvester mit uns sein würde?

Aber wir freuten uns wohl viel mehr über diese überraschende Entscheidung, als dass wir daran gedacht hätten, dass es für uns das letzte Mal mit Dir sein würde.

Für viele Menschen ist Weihnachten aber nicht nur das Fest, an dem alle besinnlich beim Essen, TV oder Spieleabend zusammen sitzen, oft wird auch gestritten, weil man einfach diesem Druck des perfekten Weihnachtens einfach nicht mehr stand hält.

Aber selbst diese Art und Weise, Weihnachten zu verbringen wünsch ich mir nun nichts sehnlicher zurück.

 

Ich habe vor einiger Zeit im Internet als Kommentar von einer Mutter, zu einem Beitrag von mir, zu lesen bekommen"Ich würde es auf jeden Fall merken, wenn es meinem Kind schlecht geht und würde mich auf jeden Fall darum kümmern, damit soetwas nicht passiert". Den passenden Text an sie, gab es dann von mir auch dazu! Auch wir haben bis zu diesem Tag, in unserer sicheren Welt gelebt, glaubten, wir würden unsere Kinder kennen und mit absoluter Sicherheit hätten wir ihnen auch geholfen, wenn sie sich uns offenbart hätten,liebe Frau XY! Ich finde es zu tiefst verletzend, wenn man als Mutter solche Dinge von einer anderen Mutter hört oder zu lesen bekommt, denn es lag mir absolut fern, meinem Kind,welches ich doch liebe, nicht zu helfen und in seinen Suizid zu treiben!!!

Auch wir haben immer gedacht, soetwas gibt es nur im TV, im Radio, im Internet, in der Zeitung, aber uns passiert das nicht! Und dann....passiert es doch und man versteht die Welt nicht mehr.

Schock-Situation, man fühlt sich ohnmächtig, gelähmt.

Da sind Eltern genervt von ihren fast erwachsenen Kindern, zanken sich mit ihnen herum, einer verläßt das Zimmer, knallt die Zimmertür. Wut liegt in der Luft, man will sich erstmal nicht mehr sehen, geht sich aus dem Weg, aber man hat die Möglichkeit, die Probleme, die diese Reaktion ausgelöst haben, zu klären, kann sich irgendwann zusammensetzen, gemeinsam nach Lösungen suchen, sagen, was einen selbst verletzt hat, kann sich entschuldigen, kann sich vertragen, kann danach wieder lachen.....

all diese Möglichkeiten haben wir nicht mehr und wir bleiben zurück, ohne Lösungen, ohne ein klärendes Gespräch, ohne sich zu vertragen und ohne sich wieder in den Arm zu nehmen.

Und wenn ich dann bei anderen Menschen so mitbekomme, wie abgenervt sie wegen ihrer Kinder sind, kann ich heute nur noch darüber lächeln, denn dieser Streß vergeht. Am Tod ist nichts mehr rückgängig zu machen.

 

Heut hast DU im Internet eine eigene Webseite, ein Online-Kondolenzbuch,eine Menge traurige Menschen zurückgelassen,viel Schönes und Großes in Deinem Leben geleistet, einen kleinen Steingarten auf dem Bünder Friedhof und Deinen Frieden.

Heut hab ICH regelmäßige Stunden bei meiner Psychologin, hab eine Selbsthilfegruppe besucht, mich in einem Forum um Suizid angemeldet, rede und schreibe viel über Dich, teile meinen Kummer mit anderen lieben Müttern, die ebenfalls ihre Kinder durch Suizid verloren haben, kämpfe Schritt für Schritt darum, dass ich mein Leben wieder einigermaßen auf die Reihe bekomme, versuche das Gesicht im Spiegel wieder lieb zu haben.

 

Auf diesem Weg dorthin begleiten mich so einige Leidensgenossinen und ich bin sehr dankbar dafür, aber ganz besonders dankbar bin ich für die Freundschaft, die sich mit Sabine entwickelt hat, die ebenfalls ihren Sohn Pascal durch Suizid verlor. Seite an Seite gehen wir mittlerweile seit über einem Jahr gemeinsam diesen Weg und kämpfen jeden Tag darum, wieder ein Stück Normalität in unser Leben einfließen zu lassen. Ich möchte diese Freundschaft nie mehr missen. Dankeschön Bine,dass Du immer für mich da bist!

Dennis' Tod hat nicht nur Spuren von Schmerz hinterlassen, vielmehr hat er uns auch gelehrt, dass wir das, was wir haben oder die Menschen, die wir lieben und die wir täglich um uns haben, niemals als so selbstverständlich hinnehmen und jeden Moment mit ihnen bewußt genießen sollten.

 

In diesem Sinne hoffe ich, dass es Dir,lieber Dennis, jetzt gut geht, dort, wo Du jetzt bist. Ich werde Dich immer in meinem Herzen bewahren, all die schönen Erinnerungen an Dich, denn die kann mir niemand mehr nehmen.

Ich werde weiter an mir und meinem Leben arbeiten. Wie Konfuzius schon sagte"Der Weg ist das Ziel".

 

In Liebe

Deine Mama